Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen. (Matthäus V, 7)
Denn wenn ihr den Menschen ihre Verfehlungen vergebt, so wird euch euer himmlischer Vater auch vergeben. Wenn ihr aber den Menschen nicht vergebt, so wird euch euer Vater eure Verfehlungen auch nicht vergeben. (Matthäus VI, 14 – 15)
Sündigt aber dein Bruder an dir, so geh hin und weise ihn zurecht zwischen dir und ihm allein. Hört er auf dich, so hast du deinen Bruder gewonnen. (…) Da trat Petrus zu ihm und fragte: Herr, wie oft muß ich denn meinem Bruder, der an mir sündigt, vergeben? Genügt es siebenmal? Jesus sprach zu ihm: Ich sage dir: nicht siebenmal, sondern siebzigmal siebenmal. (Matthäus XVIII, 15, 21‐22)
Die Nächstenliebe ist die Ergänzung der Sanftmut. Denn wer nicht barmherzig ist, kann auch nicht sanft oder friedfertig sein. Die Nächstenliebe besteht aus dem Vergessen und dem Vergeben der Beleidigungen. Der Hass und die Rachegefühle zeigen eine Seele ohne Erhabenheit und Größe an. Das Vergessen der Beleidigung ist dagegen die Tugend einer erhabenen Seele, die über der Schlechtigkeit schwebt, die man ihr antun wollte. Erstere ist immer von einer misstrauischen Reizbarkeit angespannt und voller Bitterkeit, während die erhabene Seele ruhig, voller Sanftmut und Nächstenliebe ist.
Weh demjenigen, der sagt: Ich werde nie vergeben. Wenn dieser nicht von der Menschheit verurteilt wird, wird er Gottes Urteil erfahren. Mit welchem Recht würde er die Vergebung seiner eigenen Fehler verlangen, wenn er selbst nicht die Fehler anderer vergibt? Jesus lehrt uns, dass die Nächstenliebe keine Grenzen haben soll, indem er sagt, dass jeder seinem Bruder vergeben soll, nicht siebenmal, sondern siebzigmal siebenmal.
Es gibt aber zwei sehr unterschiedliche Arten der Vergebung: Die eine ist weit reichend, edel, wahrhaftig großherzig und ohne verborgene Gedanken. Sie vermeidet es mit Zartgefühl, die Selbstliebe und die Empfindlichkeit des Gegners zu verletzen, auch wenn dieser Letzte im Unrecht steht. Bei der zweiten Art legt der Beleidigte oder derjenige, der sich beleidigt fühlt, dem anderen erniedrigende Bedingungen auf und lässt das Gewicht seiner Vergebung spüren, und diese verärgert, anstatt zu beruhigen. Wenn dieser dem Verursacher der Beleidigung seine Hand reicht, tut er dies nicht aus Güte, sondern aus Prahlerei, um allen Menschen sagen zu können: „Schaut wie großherzig ich bin.“ Unter solchen Umständen ist eine aufrichtige Versöhnung beiderseits nicht möglich. Hier existiert keine Großherzigkeit, sondern nur eine Form der Befriedigung des Stolzes. In jedem Streit wird jedenfalls derjenige die Sympathie der unbeteiligten Menschen erwerben, der sich zur Versöhnung bereit zeigt, der mehr Uneigennützigkeit sowie Nächstenliebe und wahrhaftige Erhabenheit der Seele beweist.
Das Evangelium im Lichte des Spiritismus – Kap. X – 1, 2, 3, 4
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